Die Dokumentation „Mythos Galizien“ begibt sich auf die Spurensuche in einem Landstrich, der bis 1918 noch österreichisches Kronland war und nach einem Jahrhundert wechselvoller Geschichte heute abermals vor einer Zerreißprobe steht. Denn an die heute durchaus romantisierte Zeit, als Polen, Ukrainer, Juden und Deutsche in der Westukraine gemeinsam im “Haus Österreich” zumindest friedlich miteinander lebten, wird in Lemberg und anderen Orten gerne erinnert. Viele Menschen haben ein ausgeprägtes “galizisches” Bewusstsein, das zumindest als Abgrenzung gegen den russisch dominierten Osten der Ukraine taugt. Der Film zeigt auch, wie die enorme Gewalt, die gegen die Protestanten am Maidan in Kiew eingesetzt wurde, die ukrainisch- und russischsprachigen Bürger einander näher gebracht hat und der gemeinsame Kampf um ein freies, selbstbestimmtes Land zur Überwindung nationaler Vorurteile und einer neuen überethnischen Identität führt. Ukrainische Schriftsteller wie Natalka Sniadanko und Jurko Prochasko sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einer „Galizianiserung“ der Ukraine und beziehen sich dabei auf den multiethnischen und multikonfessionellen Charakter des einstigen österreichischen Kronlandes.
In der Ukraine hat das geschriebene Wort eine nahezu unvorstellbare Bedeutung. Das Buch ist sozusagen der materialisierte Inbegriff der nationalen Kultur, des nationalen Gewissens und hat eine lange Tradition. Schriftsteller spielen als Erklärer und Vermittler in der ukrainischen Gesellschaft eine enorme Rolle. Diesen Umstand will sich die Dokumentation zu Nutze machen und diversen Literaten Gehör verschaffen. An Hand ihrer Arbeiten und ihrer Gedanken wollen wir dieses widersprüchliche und doch an Kultur so reiche Land literarisch wie auch soziologisch erkunden.